Jeden Moment genießen
Am Ende meines Theologiestudiums in Lyon war mir klar, dass ich diesen Ort bald verlassen und weiterziehen musste. Aber wohin? Als ich mich das selbst fragte, fühlte ich mein Herz zu unseren Gemeinschaften in Deutschland und Österreich hingezogen. Wie überrascht und gerührt war ich, als ich hörte, dass ich dort erwartet wurde... in unserer kleinen Gemeinschaft in Graz, Österreich.
Auch wenn dieses neue Abenteuer nur ein halbes Jahr dauern wird, bis zum nächsten Ausbildungsschritt, spüre ich innerlich, dass der Herr hier etwas Wichtiges für mich vorbereitet hat. Ich habe ein Geschenk erhalten, das ich langsam auspacken werde. Ich will mich an dem freuen, was ich entdecke. So möchte ich diese Zeit leben - jeden Moment genießen, was auch immer er sein mag, denn er ist einmalig - heute, jetzt gegeben, nie wiederholbar. Und Gott wohnt genau in diesem Moment, in diesem JETZT.
Es ist zwei Wochen her, dass ich nach einer nächtlichen Busfahrt von Krakau aus morgens auf diesem für mich neuen österreichischen Boden und in dieser neuen Realität stand. Was also konnte ich schon von diesem Geschenk, das mir der Herr gemacht hat, kosten?
Zunächst einmal das Geschenk meiner neuen, internationalen Gemeinschaft: meine Schwestern sind eine aus Österreich, die zweite aus Deutschland und ich bin die dritte aus Polen. Diejenigen, die sich ein wenig mit Geschichte auskennen, wissen, dass Polen lange Zeit unter der Besatzung dieser beiden Länder war. Ein Zufall? Nein, ein Augenzwinkern des Herrn! Er weiß, wie wichtig mir die Einheit und der Frieden sind. Ich kann nicht die ganze Welt verändern, aber ich kann in meinem kleinen Alltag, in meinen Beziehungen zu meinen Schwestern Einheit leben, weil ich glaube, dass dies im Herzen Gottes großen Wert hat und sich auf die ganze Wirklichkeit auswirkt.
Zweitens, das Geschenk unserer Nachbarschaft, des „orangenen Wohnblocks“, der von so vielen Menschen aus anderen Ländern bewohnt wird: Albanien, Türkei, Afghanistan, Kroatien, Syrien... Viele von ihnen sind Muslime. Es ist ein Geschenk, sie auf der Straße zu treffen, am gemeinsamen Tisch, wo man neben den üblichen alltäglichen Dingen auch tiefere Gespräche über das Leben, über Gott führen kann. Ich kann hier ganz konkret ihre kleine Schwester sein und mir wünschen, dass überall die Einheit in der Vielfalt, die Begegnung in Freundschaft möglich sei.
Vor mir liegt ein weiteres Geschenk, das noch ausgepackt werden muss: die Arbeitsstelle, die ich suche, in der Hoffnung, sie bald zu finden.
Dieses neue Abenteuer wird von dem Wort begleitet, das ich vom Herrn für diese Zeit empfangen habe; wie im Evangelium bei der wunderbaren Vermehrung von Brot und Fisch in der Wüste sagt mir der Herr: „Was du hast, ist genug, wie wenig es auch sein mag. Ich werde mich um den Rest kümmern.“
Kleine Schwester Justyna-Sara