Dialog - ein Angebot der Liebe

Aus einem Artikel von Marc Hayat, Kleiner Bruder Jesu („Heute mit Charles de Foucauld leben“):

Charles de Foucauld war ein ausnehmend lebendiger Mensch, immer auf der Suche, niemals fertig, den jeweiligen Umständen Rechnung tragend. Deshalb muss man wissen, von welchem seiner Lebensabschnitte die Rede ist, und außerdem besteht immer das Risiko, dass wir uns einen Charles de Foucauld nach unserem Gusto basteln. 

Also werde ich lediglich sagen, was für mich im Leben und Denken von Charles de Foucauld bedeutsam ist. Wie ich ihn mir, für meine Person, heute zu Eigen mache. Welche Züge seiner Botschaft für mich bestimmend sind; warum ich ihn liebe. (…) 

Bereitschaft zum Dialog als Grundbedingung für die Weitergabe der Frohen Botschaft. 

In der Welt sein, OK, das sind wir. Gottes Anwesenheit in der Welt finden, OK, das versuchen wir. Wir wollen hören auf das, was Gott uns durch die anderen sagt. Einverstanden, wir tun, was wir können. Aber haben wir, als Christen in der Welt von heute nicht auch etwas zu geben, eine Botschaft weiter zu geben? 

Klar, die Verkündigung des Evangeliums ist ein häufiges Thema bei Charles. Aber es ist interessant, festzustellen, dass er gegen Ende seines Lebens eine sehr eigene Auffassung von diesem Verkündigen hat: Man könnte sagen, für ihn sei die Verkündigung des Evangeliums gleichlautend mit dem Eintritt in einen Dialog. Und Dialog heißt nicht zuerst, meine Argumente vorbringen, um „meine Sache loszuwerden“, wenn ich so sagen darf, sondern den anderen auf dem Weg, den er geht, zu respektieren, zu hören, was er mir zu sagen hat. 

Eigentlich kommt das Wort Dialog im Sprachschatz von Charles gar nicht vor. Er ist kein Theoretiker des Dialogs, sondern ein Praktiker, einer der den Dialog praktiziert. (Ich vergesse nicht, dass er weder ein guter Theoretiker noch ein guter Praktiker des Dialogs mit den Deutschen während des ersten Weltkrieges war. Aber das ist ein andres Thema.) 

 Ich zitiere gerne einen Brief von Charles an Joseph Hours, einen Mann aus Lyon, dem er mehrere Male geschrieben hat. (Es gibt 23 Briefe von Charles an Joseph). Darin finden sich mehrere Gedankengänge hinsichtlich seiner Auffassung der Verkündigung der Frohen Botschaft. Ihr kennt sicherlich den Text, ich habe ihn eben schon zitiert in Bezug auf Priszilla und Aquila und die Rolle und Aufgabe der Laien. 

„Jeder Christ "soll" [1] Apostel sein. Das ist nicht ein Rat, sondern eine Weisung. Ein Befehl der Liebe. Apostel-Sein, mit welchen Mitteln? Mit denen, die Gott zur Verfügung stellt: Die Priester haben ihre Oberen, die ihnen sagen, was zu tun ist… Die Laien sollen Apostel sein für alle, die in ihrer Reichweite leben. Ihre Nächsten und Freunde zuerst, aber nicht nur sie. Die Nächstenliebe hat nichts Enges, sie umfasst alle, die das Herz Jesu umfasst. Durch welche Mittel? In Anbetracht derer, um die es geht, die allerbesten: Güte, Herzlichkeit, brüderliche Zuwendung, das Beispiel der Tugend, Demut und Sanftmut, die immer anziehend wirken und zutiefst christlich sind, gegenüber allen Menschen ohne Ausnahme, allen, mit denen sie zu tun haben. "Bei manchen Leuten werden sie nie ein Wort über Gott oder Religion verlieren. Sie üben Geduld, wie Gott geduldig ist, sind gut, wie Gott gut ist. Sie lieben und sind einfühlsame und betende Brüder." Mit anderen sprechen sie von Gott, je nach ihrem Fassungsvermögen. Wenn einer sich mit dem Gedanken trägt, sich mit Religion zu befassen und nach der Wahrheit sucht, bringen sie ihn in Kontakt mit einem Priester, den sie sorgfältig auswählen und der fähig ist, ihm Gutes zu tun. Vor allem in jedem Menschen den Bruder, die Schwester sehen. ‚Ihr seid alle Geschwister, ihr habt einen einzigen Vater, den im Himmel.‘ In jedem Menschen ein Kind Gottes sehen, eine Seele, die Jesus in seinem Blut erkauft hat, eine von Jesus geliebte Seele; eine Seele, die wir lieben sollen wie uns selber und um deren Heil wir uns mühen sollen.“[2] 

Als Apostel niemals von Gott sprechen, das muss man erst mal können! Ich glaube, das gehört zur letzten Lebensperiode von Charles, als er schon lange unter den Tuareg lebt. Er ist zu der Überzeugung gelangt, dass er seine Nachbarn in ihren Überzeugungen zu respektieren hat, dass er auf der Grundlage gemeinsamer Werte mit ihnen zusammen unterwegs ist, sich ihrem Schritt anpassen und sie lieben soll. 

Die Liebe spricht durch sich selbst von Gott. Eine dem Evangelium gemäße Lebensweise spricht am deutlichsten vom Evangelium. Der Dialog ist im Prinzip ein Angebot der Liebe: „Vor allem in jedem Menschen den Bruder sehen.“ Bevor ich mit den Leuten von Gott sprechen kann, warten sie erst einmal ab, wie ich mich verhalte. Bevor ich mit ihnen von Gott spreche, erwarten sie, dass ich zuhöre, wenn sie über sich selbst sprechen. 

Ich sagte, Charles sei kein Theoretiker des Dialogs. Aber bei ihm lassen sich die Grundhaltungen ausmachen, die er für die Basis des Dialogs hält: 

 

>„Den Kampfgeist verbannen“. Mit dem anderen in Geduld unterwegs bleiben 

>Den Teil der fruchtbringenden Wahrheit anerkennen, den jeder Mensch in sich trägt 

>Beziehung auf Augenhöhe, in der ich mich vom anderen beschenken lasse 

>Vertrauen, dass Gott dem Menschen ins Herzen spricht und er fähig ist zu ehrlicher Antwort 

>Durch diese Lebensweise die Frohe Botschaft selbst „zu Wort kommen lassen“: 

Ein Leben nach dem Evangelium spricht am besten vom Evangelium. 

 

Ich finde, das ist ein wunderschönes Porträt des Christen in der Welt von heute. 

 


[1] Die Heraushebungen sind von Charles selbst.[2] Brief an Joseph Hours, Assekrem, 3/5/1912